Bodenreformurteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
Verpflichtung zur Übertragung von ehemaligem Bodenreformland auf das Land Sachsen-Anhalt
Historischer Hintergrund und Rechtsgrundlagen
Bodenreformland
Geschichte
- 1945 entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitzern (mehr als 100 ha), Nazi-Größen und Kriegsverbrechern zur Übertragung in Bauernhand
- etwa 3,1 Mio. ha im Bodenfonds
- Verteilung unter anfänglich 210.000 Neubauern und landarme Bauern
- Durchschnittlich 8,1 ha wurden pro Bauer zugeteilt
Rechtsstatus des Bodenreformlandes
(u.a. bodenrechtliche Beschränkungen)
- Eigentum im Sinne des BGB (ab 1976: ZGB) und der DDR-Verfassung
- Folglich: Eigentümereintragung im Grundbuch
- Aber: Bestehen von Verfügungsbeschränkungen: keine Veräußerung, keine Belastbarkeit, keine Verpachtung
- Dagegen: Vererblichkeit!
Gebot zur landwirtschaftlichen Nutzung
Landwirtschaftliche Nutzung war vom Eigentümer zu gewährleisten und konnte erzwungen werden (Strafrecht!).
Folge bei Beendigung der landwirtschaftlichen Nutzung: Verpflichtung zur Übertragung an den Bodenfonds.
Folgen bei Tod des Neubauern
Bodenreformland war vererblich und fiel in den Nachlass. Der Erbe musste das Land bewirtschaften. Mehrere Erben mussten sich auf einen Miterben einigen, der das Land dann bewirtschaftete (Grund: Keine Teilbarkeit).
Hat kein Erbe die Bewirtschaftung fortgeführt, war das Land an den Bodenfonds zurückzuübertragen.
Problemauslöser
= Verwaltungsrealität in der späten DDR
Mangelndes Interesse von Erben am Vollzug bodenrechtlicher Vorschriften und Nachlässigkeit der Behörden hatte zur Folge, dass der Erblasser im Grundbuch eingetragen blieb.
Das Bodenreformland wurde nicht bzw. nicht in Übereinstimmung mit den bodenrechtlichen Vorschriften bewirtschaftet.
Rechtsstatus durch das "Modrow-Gesetz"
Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 06.03.1990 (GBl. I Nr. 17 S. 134):
§ 1
Für das Recht zum Besitz, zur Nutzung und zur Verfügung von Grundstücken aus der Bodenreform gelten die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975 (GBl. I. Nr. 27 S. 465). In Rechtsvorschriften enthaltene entgegenstehende Verfügungsbeschränkungen sind aufgehoben.
Folge: Aus dem beschränkten Bodenreformland wurde "normales" (unbeschränktes) Grundstückseigentum.
Rechtsstatus durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz
(im Weiteren kurz: Gesetz von 1992)
Änderung und Ergänzung von Art. 233 EG BGB - Auszüge:
Art. 233
§ 11 Abs. 2:
"Das Eigentum am (ehemaligen Bodenreform) Grundstück wird übertragen, wenn bei Ablauf des 15.03.1990 eine verstorbene natürliche Person als Eigentümer eingetragen war, derjenigen Person, die sein Erbe ist."
§ 11 Abs. 3 Satz 1
"Der nach § 12 Berechtigte kann von demjenigen, dem das Eigentum ... übertragen worden ist, ... die unentgeltliche Auflassung des Grundstücks verlangen."
§ 12 Abs. 2 Nr. 2 b) und c):
Berechtigter ist ... in nachfolgender Reihenfolge bei ... Grundstücken:
- der Erbe des zuletzt im Grundbuch ... eingetragenen Eigentümers, der zuteilungsfähig ist,
- ... der Fiskus ... .
§ 12 Abs. 3:
Zuteilungsfähig ist, wer ... bei Ablauf des 15.03.1990 in ... der Landwirtschaft tätig war ... .
Nationale Rechtsprechung
Zahlreiche Erben haben sich gegen das unentgeltliche Übertragungsbegehren gewehrt. Alle angerufenen Gerichte haben die Klagen zurückgewiesen und ausgeführt, dass der Fiskus sein Übertragungsverlangen zu Recht auf das Gesetz von 1992 stützen könne. Das Gesetz sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Begründung der nationalen Gerichte
Das Gesetz von 1992 behebt Lücke in Modrow-Gesetz. Das Modrow-Gesetz führt wegen der Verwaltungsrealität dazu, dass Erben Eigentümer von Grundstücken werden, die ihnen niemals zugestanden hätten. Gesetz von 1992 will also den sachgerechten Willen des Modrow-Gesetzes gewährleisten und Ungerechtigkeiten verhindern.